Nach einem gefühlt sonnigen Sommer und einem goldenen Herbst melde ich mich aus der Kreativpause zurück. Zum Einstieg gibt es aber schwere Kosten, denn wir betrachten heute aus dem durch die Bundestagswahl gegebenem Anlass verschiedene Staatsformen und ziehen hierzu Cicero, Ovid und Polybios heran.

Goldene Zeiten oder Der Fluch der Jungfrau

Man sagt, die Demokratie ist die schlechteste Staatsform, mit Ausnahme aller anderen.
— Winston Churchill
 
Die meisten Bayerischen Abiturienten, sofern sie sich mutig mit Latein bis zu den Abschlussprüfungen befasst haben, glauben ja zu wissen, dass der Verfassungskreislauf von Cicero erfunden wurde. Man übersetzt mühselig seinen Somnium Scipionis, quält sich durch die Philosophie der De Re Publica und ist am Ende froh, dass man den Wechsel der Staatsformen begriffen hat: allesamt scheinen sie unausweichlich ins Negative abzudriften, um sodann mittels Volksaufstands oder Palastrevolution in eine nachfolgende Staatsform überführt zu werden. Auch dieses neue Konzept verkommt im Laufe der Zeit genauso, wird nochmals abgelöst von etwas Neuem und immer so weiter und weiter bis ans Ende der Menschheit.
 
Abgesehen von der Tatsache, dass es Polybios war, der diese Verfassungslehre im 2. Jh. v.Chr. begründet hat und Cicero als Eklektiker (das ist einer, der sich überall Sachen zusammensucht, sich die besten Rosinen herauspickt, alles neu zusammenstellt und dann als eigenen Kram verkauft; das System ist auch bei zeitgenössischen Politiker:Innen hinlänglich bekannt und beliebt) die Angelegenheit lediglich neu formuliert hat, geht es dabei letztlich nur um folgendes:
 
Da wird einer vom Volk zum König gemacht, weil er sich als anständig, aufrichtig, mutig, visionär, grundehrlich und so weiter hervorgetan hat und die Menschen der Meinung sind, das ist der Richtige. Am Anfang ist er das auch. Er kümmert sich um sein Volk, stellt sein Handeln in das Wohl der Menschen, die ihm vertrauen und denkt an sich selbst zuletzt. Das geht eine Zeitlang gut. Das Königreich wird wie üblich an die Nachkommen weitergegeben, und je länger die Sache läuft, desto weniger sind die nachfolgenden Herrscher am Gemeinwohl interessiert. Man lebt schließlich prächtig, hat sich auch längst an die Selbstverständlichkeit von Wohlstand und Luxus gewöhnt, der Hofstaat liest dem Monarchen alle Wünsche von den Lippen ab, und auf einmal stellt man fest: die Sicherheit ihres Herrscherdaseins hat bei den Königen nach und nach Habsucht, Arroganz, Gier, Ungerechtigkeit und Größenwahn fest verankert. Dann ist aus der Monarchie eine Tyrannis geworden.
 
Die findet beim Volk keine große Zustimmung. Man murrt und sinnt auf Umsturz und vertraut dabei auf den ebenfalls unzufriedenen Adel, denn zunächst nimmt die sogenannte Oberschicht die Sache in die Hand. Die aufgebrachten Adeligen entledigen sich des Tyranns und installieren eine neue Staatsform: die Aristokratie. Am Anfang ist die neue Führungsriege tatsächlich auch wieder sehr bemüht, dass es dem Volk gutgeht und alle zufrieden sind. Man macht alles besser als es vorher war, was im Vergleich zu den Umtrieben des davongejagten Tyranns auch nicht übermäßig schwer ist. Letztlich passiert den Adeligen dann aber früher oder später dasselbe wie dem König, der allmählich zum Tyrannen wurde: sie missbrauchen ihre Macht, wirtschaften in ihre eigenen Taschen, beuten das Volk aus, stellen sich selbst immer die dicksten Gehaltsschecks aus und etablieren in vollkommener Selbstverständlichkeit ihren Größenwahn. Dann ist aus der Aristokratie eine Oligarchie geworden: einige wenige stinkreiche Strippenzieher werden immer reicher und mächtiger und das Volk versinkt in Armut. Das Konzept ist bis heute nicht unbekannt.
 
Gut. Auch diese Zustände dauern nicht ewig. Dieser Gedanke ist durchaus tröstlich. Das Volk reißt eine Revolution vom Zaun, erhebt sich und schlägt alles kurz und klein. Auch das kennt man. Im besten Fall bildet sich eine Demokratie, die Herrschaft des Volkes. Wenn es dumm läuft, wird ein kommunistisches System installiert. Dann steht die Herrschaft des Volkes zwar auf dem Papier und in der Verfassung, aber in Wirklichkeit übernimmt eine neu entstandene, hundsgemeine Clique aus neo-oligarchischen Oberkommunisten die Macht. Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher. (George Orwell, „Animal Farm“ 1945) Aber wieder zurück zur Demokratie: Jeder einzelne ist der Staat und die gewählten Volksvertreter sind die Handlanger des Volkswillens – schließlich können nicht alle durcheinanderschreien, sondern bestimmen einzelne Leute (von denen sie glauben, die seien anständig, aufrichtig, mutig, visionär, grundehrlich und so weiter) und übertragen ihnen das Mandat, den Staat zu führen und die Gesellschaft zu entwickeln. Das Volk ist und bleibt der Souverän und die Mandatsträger müssen alles tun, was das Volk will. Auch das ist bekannt, in der Theorie wenigstens. Leider steht sich diese Demokratie aber früher oder später erneut selbst im Weg, weil die Mandatsträger ja nach wie vor Menschen und damit nach wie vor egoistisch, gierig, machtbesessen, rechthaberisch und so weiter... – es kommt, wie es nach Polybios kommen muss: die Demokratie verkommt zur Herrschaft des Pöbels, zur Ochlokratie.
 
Und dann schließt sich der Kreislauf, denn früher oder später schwingt sich in diesem planlosen Durcheinander des ordinären Pöbels, in dem jeder nur an sich selbst denkt, mehr oder weniger plötzlich ein einzelner empor, ein Heilsbringer, ein Retter, ein Führer, einer, der den Menschen klar macht, dass sie ihm nur zujubeln und sich unterordnen müssen, und schon wird alles wieder gut. Im günstigsten Fall stehen wir dann wieder am Anfang einer Monarchie. Es kann aber auch so ausgehen, dass den Laden gleich der Tyrann übernimmt. Auch dafür gibt es das eine oder andere Beispiel. [weiter]

Erich Schöneck
Kunst und Kommentare

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