Leb wohl, gute Lily, du Schöne und Sanfte. Leb wohl.
Du einzigartige, du kuschelnde Schmeichlerin,
Du charmante, du eigensinnige Begleiterin unserer Tage.
Jetzt bist du fort, weggegangen zu neuen Gestaden,
tatest es leise, zärtlich bis zuletzt, vertrauensvoll und still.
Deine listigen Späße werden uns fehlen.
Zurück bleibt nur ein schwacher Trost:
Dass du in Zukunft
Andere Futternäpfe plünderst.
ANIMULA, VAGULA, BLANDULA
Und jetzt haben wir hier noch ein kleines Gedicht des sterbenden römischen Kaisers Hadrian (76-138), das jeden halbwegs feinsinnigen Leser faszinieren muss, besonders weil eine eigentümliche Wortmetrik die ohnehin schwierige und rätselvolle lateinische Grammatik beherrscht: drei der fünf Verse bestehen einfach aus 3 Wörtern. Es wäre großartig, wenn sich das genauso einfach ins Deutsche übersetzen ließe.
- Animula, vagula, blandula
- Hospes comesque corporis
- Quae nunc abibis in loca
- Pallidula, rigida, nudula,
- Nec, ut soles, dabis iocos.
Theodor Birt übersetzt in seinem Aufsatz Römische Charakterköpfe (Quelle & Meyer, Leipzig 1916, S. 323) dieses Gedicht so:
- Mein Seelchen, freundliches Seelchen du,
- so wanderlustig immerzu,
- dein Leib war nur dein Gasthaus und nun
- sollst du die letzte Reise tun
- in jenes Reich,
- wo alles so öd‘ und kahl und bleich,
- in jene Nacht,
- wo keiner mehr deine Spässchen (sic!) belacht.
Meine eigene Übersetzung bleibt viel dichter am Text und berücksichtigt Kaiser Hadrians bewusst inszenierte Undeutlichkeit:
- Ach, meine kleine Seele, du streunende, schmeichlerisch-sanfte,
- du mein Gast, meines Körpers Begleiter.
- Jetzt gehst du fort an andere Orte,
- leichenblass, starr und kahl,
- und wirst keine deiner üblichen Witze mehr reißen.
Theodor Birt spricht von dem „Reich“, „wo alles so öd‘ und kahl und bleich“ ist. Das zentrale, von Kaiser Hadrian beabsichtigte, tiefsinnige Wechselspiel der Bedeutungen geht bei Birt auf diese verkürzende Weise leider gänzlich verloren.
Beim Kaiser bleibt nämlich völlig offen, worauf sich sein „pallidula, rigida, nudula“ eigentlich bezieht. Der erste Blick auf der verzweifelten Suche nach KNG-Kongruenzen fällt freilich klar auf „loca“. Auch Herrn Birts Blick fiel sofort dorthin und blieb dort leider dauerhaft kleben. Es ist zwar durchaus naheliegend, sofern man nicht an die paradiesischen Zustände der christlichen Jenseitslehre glaubt, dass sich der Aufenthaltsort („loca“) nach dem irdischen Leben als „leichenblass und starr und kahl“ aufdrängt. Ich sehe hier allerdings statt einer solch durchsichtigen Banalität viel eher ein großartiges, von Hadrian bewusst als Parenthese angelegtes Hyperbaton.
Beim zweiten Hinsehen könnte einem nämlich durchaus der Gedanke kommen, dass sich all diese unangenehmen, teils verniedlichten Zustände auch auf einen ganz anderen Vers beziehen können, in dem zuvor auch schon kräftig – vielleicht sogar verdächtig kräftig – verniedlicht wurde. So stößt man dann auf die „animula“, das Seelchen, das für Hadrian „vagula“ ist. Das schafft Raum für die Vermutung, dass er auf diese Weise voller Absicht den Standard „vaga“ feinsinnig umfärbt. Das „Seelchen“ ist damit nämlich nicht einfach nur herumschweifend, nicht bloß neugierig immer auf der Suche, ungebunden, sondern viel eher herumstromernd, schlitzohrig vagabundierend, gar nach Verbotenem stöbernd. Das ist etwas völlig anderes. Auf diese Seele, die Hadrian selbst offenbar nicht ernst nimmt und sie gleichzeitig als „blandula“ und daher nicht einfach bloß als „blanda“ empfindet, blickt er mit einer ordentlichen Portion Selbstironie zurück und schätzt sich auf diese Weise augenzwinkernd sogar noch in seinen letzten Atemzügen keineswegs als höflich, verbindlich, gewinnend ein, auch wenn ein Kaiser das gewiss offiziell sein müsste. Er hält seine „kleine Seele“ viel eher für schmeichlerisch, umgarnend, mit allen Wassern gewaschen und voller Raffinesse alles und jeden erbarmungslos überrumpelnd. Offenbar hofft er, das große Unbekannte milde zu stimmen, dass es sein „Seelchen“ nicht allzu „leichenblass, starr und kahl“ macht, wenn er jetzt noch schnell ein bisschen fishing for compliments betreibt…
Wollte er vielleicht mit diesem Trick das furchterregend Neue und Unbekannte überrumpeln, das jetzt unausweichlich auf ihn zukam?
So, wie unsere gute Lily ihr Leben lang alles und jeden schmeichelnd um die Pfote wickelte, stets mit allen Wassern gewaschen war, wenn es darum ging, etwas zu bekommen, das sie sich in den Kopf gesetzt hatte? Lily, die voller angeborener Noblesse alles, was sie haben und jeden, den sie einseifen wollte, mit ihrem selbstverständlichen Charme und ihrer unwiderstehlichen Liebenswürdigkeit für sich einnahm und zu ihrem Leckerlispender, Dosenöffner, Wellnessassistenten, Kuschelbeauftragten und willenlosen Wasserträger machte.
Und daher passt dieses Gedicht auch ganz wunderbar zum Dasein und Weggang unserer bezaubernden, kleinen und wundervollen, alle mit ihrer Politesse entwaffnenden Langhaar-Chihuahua-Dame mit dem beeindruckenden Züchternamen Hepzibah Smith Of Glencairn’s Cottage, die aber immer – natürlich nur, falls sie selbst das auch gerade wollte – von 2011 bis 2024 ausschließlich auf den Namen Lily hörte.
Aktuell befindet sie sich auf Reisen mit unbekanntem Ziel.
Es ist schwer, die richtigen Worte zu finden, um den Schmerz zu lindern. Der beste Hund aller Zeiten, Familienmitglied, Rudelführerin, Kuschelmonster.
Möge die liebe Lily in ihrem neuen Futternapf ebenso köstliche Leckereien wie auf 🌎 Erden finden. In Gedenken an die wunderbar Kuschelnde und beim Kraulen Genießende. Werde Dich vermissen und in bester Erinnerung behalten. Du warst fordernd bei Krauleinheiten. Doch gabst Du mit wohligen Lauten und Genuß so viel zurück.
In jedem Abschied steckt die Gewissheit, dass du Spuren in unseren Herzen hinterlässt. Danke für alles, was du für uns getan hast.
Was im Herzen liebevolle Erinnerungen hinterlässt und unsere Seele berührt, kann weder vergessen werden, noch verloren gehen.
Lliy war der dem Menschen zugewandteste Hund, den ich jemals kennengelernt habe. Manchmal drängte sich das Gefühl auf, dass sie gern auf eigene Beine verzichtet hätte, damit sie den ganzen Tag auf irgendeinem Schoß sitzen oder herumgetragen werden könnte. Nur beim Füttern waren diese vier Beine von Nutzen, um sie schnell zum Futternapf zu transportieren. Danach – plopp – zufriedenes Fallenlassen auf den nächsten Menschen und sich völlig hingegossen und vertrauensvoll in die Positur bringen, die jetzt uuuunbedingt gestreichelt werden muss. Dann wurden genüsslich die Augen verdreht, und Lily befand sich bereits zu Lebzeiten im Hundehimmel. Und auch im Hinübergleiten durfte sie die Nähe des vertrauten Menschen spüren, der sie begleitet und ihr geholfen hat, ihren Weg zu finden. So einen Übergang mit dem geliebten Menschen an der Seite kann man eigentlich nur jedem wünschen, und vielleicht erwartet einen ja tatsächlich ein goldenes Funkeln, das einen nach oben trägt, wie im wirklich gelungenen und sehr stimmungsvollen Bild.