Die Milzbrandepidemie 1979-84 in Simbabwe – Bacillus anthracis – das war der bisher größte Milzbrandausbruch mit mehr als 10.000 Toten innerhalb kürzester Zeit. Lungenmilzbrand entwickelt sich nach dem Einatmen sporenhaltigen Staubs oder Aerosols. Innerhalb weniger Tage entsteht eine Bronchopneumonie mit hohem Fieber, blutigem Husten und Sauerstoffunterversorgung. Der Tod tritt nach etwa zwei Tagen ein. Deshalb ist das Teufelszeug auch so sehr im Focus der Begehrlichkeiten als Biowaffe, Genfer Konvention hin oder her.
2017, Acryl und Öl auf Faserplatte, 84 x 59 cm
18. April 2021
Nach Expertenmeinung stellt Anthrax in den Händen von Verbrechern, Terroristengruppen oder sogenannten Schurkenstaaten tatsächlich die aktuell größte realistische Bedrohung der Menschheit dar. Dieser Kampfstoff ist mit Abstand am einfachsten von allen und auch ohne besondere Ausrüstung oder komplizierte Technologie zu produzieren und kann ohne großen Aufwand höchst effektiv eingesetzt werden. Die Sporen sind völlig unempfindlich und nahezu unbegrenzt in Pulverform lagerfähig. Man kann es gefriergetrocknet in Sprengköpfe füllen oder mit Kleinflugzeugen in wässriger Lösung wie Unkrautbekämpfungsmittel versprühen. Bereits Mitte der 1990er Jahre hatten die westlichen Geheimdienste den begründeten Verdacht, dass damals bereits wenigstens 17 Staaten biologische Waffen entwickelten, darunter Iran, der Irak, Libyen, Nord- und Südkorea, und natürlich auch China und Russland. Und die USA? Bekannt wurde zumindest nach einigermaßen gesicherten Kenntnissen, dass der Irak verschiedene Sprengköpfe mit Milzbrand-Sporen präpariert hatte.
Der unsichtbare Tod
Das todbringende Aerosol ist geschmack- und geruchlos, lediglich ein hauchfeiner, vollständig unsichtbarer Nebel, der selbst bei leichten Luftbewegungen etliche Kilometer weit verbreitet werden kann. Man hat errechnet, dass nur 100 Kilogramm Anthrax-Sporen, bei günstiger Windrichtung als Aerosol über einer Großstadt oder einem Ballungszentrum versprüht, leicht ungefähr drei Millionen Tote zurückließen. Finanziell wäre die Sache ein zusätzliches großes Desaster: die Behandlung von „nur“ 100.000 kontaminierten Personen würde rund 20 Milliarden Euro kosten, denn die Herstellung des raren Antibiotikums wäre ebenso teuer wie die Herstellung des genauso raren Impfstoffs.
Immer wenn ich von einem sogenannten islamistischen Selbstmordattentat höre oder lese, bei dem ein Irrer durch seinen umgeschnallten Sprengstoffgürtel nicht nur sich selbst umgebracht, sondern eine Reihe zufällig in der Nähe befindlicher Unschuldiger in seinem Wahn mit in den Tod gerissen hat, frage ich mich, wie lange es wohl noch dauert, bis sich diese unerträglichen Szenarien eine noch schrecklichere Maske als bisher aufsetzen.
„Wenn es wieder wütet in mir…“
Und dann gibt es da noch eine andere, ziemlich beunruhigende, aber leider wahre Geschichte, die ganz gewiss nicht als Betthupferl geeignet ist:
Am 18. September 2001 wirft jemand im beschaulichen Trenton, der nur gut 80.000 Einwohner zählenden Hauptstadt des US-Bundesstaates New Jersey, eine Handvoll höchst unbekömmlicher Briefe bei der Hauptpost ein. Sie sind an zwei Zeitungen und drei lokale Fernsehsender adressiert. Wenige Tage später stirbt ein Bildredakteur des Verlagshauses American Media an Lungenmilzbrand. Schon bald darauf folgen weitere bösartige Briefsendungen, dieses Mal adressiert an zwei Senatoren der Demokraten. Zunächst trifft es andere: erst erkranken Mitarbeiter der Post im Sortierzentrum, und kurz darauf andere Empfänger weiterer Sendungen, die offenkundig mit den an den tödlichen Briefen anhaftenden Anthrax-Sporen zufällig und vom Absender unbeabsichtigt infiziert wurden.
Es entwickelt sich schnell öffentliche Panik, zumal sämtliche Zeitungen und Nachrichtensender ständig von gefährlichen Briefen berichten, die mit einem mysteriösen Pulver gefüllt sind. Der Kongress wird geräumt, die Mitarbeiter vorsorglich geimpft, man schließt die Postämter in Washington, New York, New Jersey und Florida. Keiner will mehr Briefe anfassen, weder die Mitarbeiter in den Postsortierzentren noch die Adressaten. Antibiotika sind ausverkauft und die Menschen kaufen sich Gasmasken, als wäre man mitten im Krieg.
Fünf Menschen sterben nach dem Einatmen der Anthrax-Sporen beim Öffnen der Briefe, siebzehn erkranken schwer an Lungenmilzbrand, tausende Menschen müssen in Krankenhäusern behandelt werden. Senator Leahy – einer der beiden Adressaten der zweiten Briefsendung – teilt auf Anfrage mit, dass mit der Menge Bakterien, die sich in dem an ihn adressierten Briefumschlag befunden hatten, weit mehr als 100.000 Menschen hätten getötet werden können.
Angesichts dieser Vorgänge fühlt sich die damalige US-Regierung in ihrem Kriegsplan gegen den Terror bestätigt und lässt durchblicken, dass Saddam Hussein hinter diesen Briefsendungen stecken könnte. Schnell erlässt man den Patriot Act, mit dem die Grundrechte der Menschen drastisch eingeschränkt werden. Das ging damals tatsächlich schneller und konsequenter als wir es gegenwärtig im eigenen Land erleben. Schöner wird das Ganze dadurch allerdings auch nicht. Leider lässt sich aber nicht der Hauch eines Beweises finden, mit dem diese Vermutung erhärtet werden könnte.
Das FBI ermittelt derweil in eine ganz andere Richtung. Da gibt es in der Nähe von Washington ein Forschungslabor der US-Armee. Dort wird unter anderem mit Anthrax an Biowaffen „geforscht“. Sogar ein Verdächtiger ist schnell gefunden: ein 49jähriger Wissenschaftler, der dort zwar arbeitet, aber jede Schuld abstreitet und die US-Behörden am Ende darüber hinaus sogar verklagt. Er kann nämlich vor Gericht schlüssig beweisen, dass er nie mit Anthrax in Berührung kommen konnte, weil er als Virologe in einer völlig anderen Sektion arbeitet, die aus naheliegenden Gründen komplett von den bakteriellen Forschungslaboren abgekoppelt ist. Der Mann erhält schließlich neben einem Freispruch später sogar eine Entschädigung in Höhe von 5,8 Millionen Dollar.
Unterstützung bietet derweil den Ermittlern ein anderer Mitarbeiter des Forschungslabors an. Der Mann ist Biochemiker und gern dabei behilflich, die mit den Briefen verschickten Anthrax-Sporen zu analysieren. So wird deren Spur tatsächlich bis zu dem erwähnten Biowaffenlabor der US-Armee zurückverfolgt. Die vor allem in der zweiten Lieferung vorhandenen Sporen waren von einem derart hohen technischen Standard, dass sehr schnell klar wurde, dass sie nicht in irgendeinem Hinterhof von Terroristen in einem ausrangierten Wäschebottich gezüchtet worden sein konnten. Der oder die Täter mussten also irgendwann einmal einen rechtmäßigen und unverdächtigen Zugang zu den in den Waffenlabors der Armee hergestellten biologischen Kampfstoffen gehabt haben.
Im Grunde ist solch eine Feststellung ja doppelt explosiv: da gibt es also in den Vereinigten Staaten von Amerika tatsächlich Produktionsstätten für biologische Kampfstoffe und offenbar auch mindestens eine Person, die der äußeren Kontrolle und der eigenen inneren moralischen Barriere derart entglitten ist, dass die hochinfektiösen Sporen auf diesem Weg in Umlauf geraten konnten?!
Bei dem hilfsbereiten Wissenschaftler handelte es sich um einen der bedeutendsten Experten für Biowaffen, der im beschaulichen Maryland ein schönes Eigenheim und eine glückliche Familie besaß, der pünktlich und unauffällig seine Steuern bezahlte, den die Nachbarschaft einmütig als unterhaltsam und umgänglich beschrieb, der in seiner Gemeinde mit Inbrunst jeden Sonntag die Orgel spielte und der trotz seiner hochdotierten, zeitaufwändigen und verantwortungsvollen Tätigkeit immer Zeit für freiwillige und ehrenamtliche Einsätze beim Roten Kreuz fand.
Nach sieben langen Jahren umfangreichster FBI-Ermittlungen, bei denen mehr als 9.000 Verhöre durchgeführt und fast 27.000 Mails abgefangen worden waren, viele Dutzend Hausdurchsuchungen stattgefunden hatten und dazu noch umfangreiche Nachforschungen auf sämtlichen Kontinenten weltweit, teilte das FBI im August 2008 mit, dass man die Falschen im Visier gehabt hatte.
Dabei lag die Lösung von Anfang an so gefährlich nah: zuletzt entlarvte man tatsächlich den inzwischen zweiundsechzigjährigen hilfsbereiten und sozial vollkommen unauffälligen Biochemiker als den gesuchten Serienmörder. Es wurden Mails gefunden, in denen er schrieb: „… mir fällt es schon schwer, mein Verhalten im Griff zu behalten. Wenn es wieder wütet in mir, versuche ich, mir weder zu Hause noch im Dienst etwas anmerken zu lassen, damit ich die Pest nicht weiter verbreite.“ Offenbar handelte es sich um blanken Hass auf den Staat, weil er einerseits dabei zusehen musste, wie der Gesetzgeber nur zögerlich und mit fehlendem Nachdruck gegen das Abtreibungsgeschehen im Land vorging und ihm auf der anderen Seite die Krönung seines Lebenswerkes – eine Schutzimpfungskampagne gegen Milzbrand – lediglich wegen finanzieller Überlegungen verweigert wurde. Kurz vor der bevorstehenden Festnahme nahm er eine tödliche Überdosis eines schnell wirkenden Schlafmittels. Unter seinen Aufzeichnungen fanden die Beamten ein Exemplar von Albert Camus‘ Roman Die Pest.
Die Büchse der Pandora
Die USA hatten also tatsächlich heimlich eine völlig neuartige Form von trockenem Milzbrandpulver produziert, das sich bestens als biologische Angriffswaffe eignet, weil es hoch konzentriert, leicht zu verteilen und schon in kleinsten Mengen tödlich ist. Natürlich diente die Forschung ausschließlich der Landesverteidigung, hieß es. Experten setzen an dieser Stelle ein paar Fragezeichen. Die US-amerikanische Biowaffenexpertin Barbara Hatch Rosenberg nahm dazu Stellung: „Warum man trockenes, waffentaugliches Milzbrandpulver herstellt, ist ganz klar. Man will prüfen und testen, wie es sich im Krieg einsetzen lässt. Man will wissen, wie es sich über große Gebiete verteilt, und wie tödlich es dann noch ist. Ich glaube nicht, dass diese Tests mit waffentauglichem Milzbrand irgendeinen Sinn für die Verteidigung haben.“
Siehe hierzu auch das Werk „Seuchen der Menschheit – Pest“
Zu Dr. Barbara Hatch Rosenberg siehe einen Eintrag auf WMC (externer Link)
Das Bild ist Teil einer Serie zum Thema Pandemie: