Ein Weiter so mit alten Köpfen: Deutschland hat gewählt.
Ceterum censeo Karthaginem esse delendam!
2017, Acryl und Wasserfarbe auf Faserplatte, 84 x 59cm
25. September 2017
Den großen Volksparteien laufen die Menschen weg, die Mitglieder ebenso. Niemals in der Geschichte der Bundesrepublik hat es länger gedauert, eine Regierung zu bilden wie das bei dem bis 2021 tapfer durchhaltenden Provisorium Kabinett Merkel IV der Fall war. Sozial- und Christdemokraten sind ihre äußeren Flügel mit teils dramatischen Folgen weggebrochen. Das, was an Interessenlandschaft in der sogenannten Mitte übrig bleibt, reicht nicht mehr für Mehrheiten aus, egal in welche Richtung. Also gibt man sich richtungslos und nennt sich mal schwarz-gelb-grün elegant-euphemistisch Jamaika oder schwarz-rot-grün auch schon mal Kenia, oder kriecht gemeinsam unter eine rot-rot-grüne Decke, für die es gar keinen schönen Namen mehr gibt. Für eine Richtung oder gar Anstand reicht es nicht mehr. Nur die Bahamas mögen sie nicht, da ist man sich von ganz links außen bis sehr weit nach rechts einig.
Der Glaube an einen charismatischen Heilsbringer gedeiht leider auf dem Acker der Politikverdrossenheit besonders gut. Dabei stünde etwas Charisma den aktuellen Politikern eigentlich ganz gut zu Gesicht. Denn dann könnten sie zusammenbringen, was politisch-programmatisch nicht mehr zusammenzuführen ist.
Marcus Porcius Cato der Ältere, der von 234 bis 149 v.Chr. im alten Römischen Reich lebte, war als sogenannter homo novus (in Lebenslauf und Ehrgeiz durchaus vergleichbar mit Gaius Julius Cäsar etwa einhundert Jahre später) ein römischer Politiker, der es trotz seiner Abstammung aus den gern und oft zitierten „kleinen Verhältnissen“ in kurzer Zeit zu hohem Ansehen und einer Fülle führender politischer Ämter gebracht hatte. Militärtribun wurde er bereits als Zwanzigjähriger im Jahre 214 v.Chr. dank des Sponsorings des damals überaus einflussreichen Lucius Valerius Flaccus, zehn Jahre später durch den nachhaltigen Einfluss desselben Förderers Quästor, kurz darauf Ädil und ein Jahr später bereits Prätor und Statthalter von Sardinien.
195 v.Chr. gelang ihm schließlich gemeinsam mit seinem Förderer der Sprung an die Spitze des Staates: beide wurden zu Konsuln gewählt, hatten damit so ziemlich die höchste Staatsgewalt inne und waren endgültig in die elitäre Loge des Römischen Hochadels aufgenommen.
Man muss an dieser Stelle wissen, dass die Römische Republik damals im Gegensatz zu dem, was in deutschen Regierungen heute durch einen einzigen Kanzler und seinem alleinigen Weisungsrecht geschieht, auf das Kollegialitätsprinzip einer Doppelspitze setzte, damit nicht ein einzelner tun und lassen konnte, was er wollte, wenn er zum Wohle oder Schaden des Volkes mit mehr oder weniger Glück, Vetternwirtschaft, Raffinesse oder vielleicht sogar Können ins höchste Staatsamt gespült worden war. Mehr noch: um zu verhindern, dass sich bei den politischen Machthabern allzu viel undurchsichtiger Filz und selbstzufriedene, durch niemanden mehr kontrollierte Selbstgerechtigkeit breitmachen, galt im alten Rom die schöne Regel, dass ein Konsul nach Ablauf seines Konsulats abtreten und darüber hinaus sogar mindestens ein Jahr lang warten musste, bevor er sich erneut der Wahl zum Konsul stellen durfte. 16 Jahre Marcus Porcius Cato der Ältere am Stück als Konsul wären also überhaupt nicht möglich gewesen, ganz unabhängig von der Fragestellung, ob der Mann dazu getaugt hätte oder nicht.
Nach seinem Konsulat jedenfalls, in welchem ihm schließlich als einem überaus erfolgreichen kommandierenden Oberbefehlshaber in Spanien gegen diverse aufständische Stämme zuletzt durch den Senat gar die seltene Ehre eines Triumphzuges durch Rom zugebilligt worden war, zog der alte Cato sich schließlich 191 v.Chr. mit 43 Jahren noch gar nicht so alt aus der aktiven Politik zurück und wurde danach gemeinsam mit seinem alten Weggefährten Lucius Valerius Flaccus, dem er so viel zu verdanken hatte, von der Volksversammlung zum Zensor gewählt.
Das war nun wirklich ein sehr, sehr hohes Staatsamt, das auch überhaupt nur ehemalige Konsuln (sogenannte consulares) de facto innehaben konnten. Gedurft hätten zwar eigentlich auch andere, aber das war damals in Rom ein bisschen so wie heute im Vatikan: theoretisch könnte jeder getaufte ledige, mindestens 35-jährige Katholik Papst werden. Dennoch suchen die zur Entscheidung befugten Kardinäle aber doch immer nur im eigenen Stall. Der letzte Papst, der vor seiner Wahl kein Priesteramt hatte, war Leo X. (1513-1521).
Das Amt des Zensors war durchaus begehrt, denn im Grunde gab es da gar keine nennenswerte Kontrolle mehr. Ein Zensor war verantwortlich für die Erhebung der Steuern, für Volkszählungen oder für die Besetzung des Senats. Man lasse sich das einmal in aller Ruhe auf der Zunge zergehen: ein Einzelner kann einen aufrechten, klugen Kopf als Senator blockieren, obwohl er ein ehrlicher Politiker wäre oder umgekehrt auch einen korrupten Dummkopf zu einem wichtigen Politiker machen und ihn stützen; heutzutage erledigen diese fatale Auswahl die Parteivorsitzenden. Der Zensor sorgte darüber hinaus für Anstand und Moral des Volkes und für die Festlegung, welcher Bürger zu welcher Bürgerklasse und zu welchem tribus gehörte. Da die Zugehörigkeit zu diesen Klassen ganz besonders über die Gewichtung des Einzelnen entschied, mit welcher er an der Wahl zur Volksversammlung teilnehmen durfte, (alle Menschen waren damals eben nicht gleich; auch heute übrigens nicht, man tut aber so) kann man sich ganz gut vorstellen, zu welchen politischen Kräfteverschiebungen ein solcher Zensor, wenn er sich geschickt anstellte, imstande war.
Jedenfalls war der alte Cato als Zensor zuletzt nicht besonders beliebt. Er war zwar tatsächlich nicht bestechlich, zweigte auch niemals etwas für sich selbst ab, aber er war stur, arrogant und interessierte sich einen großen Haufen feuchten Dreck für die Meinung anderer und so kam es regelmäßig zu heftigen Auseinandersetzungen während seiner Amtszeit. Da er quasi unkontrollierbar war, interessierte ihn das alles überhaupt nicht. Missliebige Konkurrenten konnte er gewissenlos wegbeißen oder mit subtiler Raffinesse kaltstellen. Auch sowas kennt man aber aus der aktuellen Geschichte ebenfalls. Er zog sein Ding ohne jede vorherige Abstimmung durch und ließ das die anderen auch spüren. „Wir schaffen das“ wird er den Leuten oft genug gesagt haben.
Kennzeichnend für seine große Sturheit und sein völliges Fehlen von Bereitschaft, die Meinung anderer ernsthaft auch nur im Ansatz zur Kenntnis zu nehmen, mag seine Angewohnheit gewesen sein, jede Rede und jede Verlautbarung mit ein- und demselben Satz zu beenden. Den Satz ist natürlich leidlich bekannt, weil viele ihn irgendwo schon mal gelesen oder gehört haben:
Ceterum censeo Carthaginem esse delendam – Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss.
Der Dauerstreit mit Karthago war damals ein unseliges Dauerthema, eines, das die Volksseele gerne zum Kochen brachte und das auch erst mit dem Ende des Dritten Punischen Krieges (da war Cato der Ältere bereits tot) endlich ad acta gelegt werden konnte, aber dennoch war es für jemanden wie Cato ein wenig lächerlich, jedem und bei jeder Gelegenheit seine ungebetene und hinlänglich bekannte Meinung zu diesem Dauerbrenner immer und immer wieder um die Ohren zu hauen.
Heute ist man da subtiler, macht zwar auch als Regierender nach wie vor was man will, erklärt Themen, die einen nicht interessieren, selbstherrlich als „Neuland“, rührt aber bei der Zubereitung seiner unbekömmlichen Volkssuppe nicht so publikumswirksam in den kochenden politischen Töpfen herum, dass das Zeug den Leuten allzu auffällig gleich bis in ihre eigenen Teller spritzt, jedenfalls nicht sofort. Je verfilzter eine Situation ist, desto diskreter wird sie behandelt und umso weniger davon kommt ans Licht. Auch seit der letzten Wahl 2017 ist das so und es ist nicht besser geworden. Man mag sich aber, falls man sich selbst nicht übermäßig aufregen möchte, gerne gekonnt trösten:
„Wir schaffen das!“