When the ground is torn from under your feet, you will be drifting into the desolate mist of uncertainty: this is how even humble life turns into precious luxury.

2021, Acryl und Guache auf Holz (Ahorn), 60 x 120 cm
Living Luxury
Living Luxury

Rom A.D. 301 / Berlin A.D. 2021

Im Jahr 301 n. Chr. erklärten Diokletian, Maximian, Constantius und Galerius, die als Tetrarchen in einer Art teamorientierter Koalition über das riesige Römische Reich herrschten, das vom Atlantik bis zum Euphrat reichte, per Edikt ihr berühmtes edictum de pretiis rerum venalium: das „Edikt über die Preise der Verkaufsgüter“.Man kann es auch kurz als Höchstpreisedikt bezeichnen. Dieser kaiserliche Erlass galt unverzüglich und im gesamten Reich. Er legte Maximalpreise für einen Kanon von rund 1000 Waren und Dienstleistungen fest. Die Strafen bei Zuwiderhandlung waren drakonisch: Wer die staatlich verordneten Preise überschritt, hatte mit der Todesstrafe zu rechnen. 

Seit fast dreißig Jahren litt das Reich bereits unter massiver Inflation. Der sogenannte silberne Antoninian, die damalige weltweite (was man halt so unter dem Begriff „Welt“ verstand) Leitwährung war nach und nach gewaltig unter Druck geraten. Die vier Kaiser als Regierungsteam hatten wegen der an allen Ecken des Reiches aufflammenden kriegerischen Auseinandersetzungen im 3. Jahrhundert erstens immer mehr und zweitens immer besser bezahlte Soldaten und Söldner durchzufüttern und bei Laune zu halten. Dieses teure Hobby belastete die Staatskasse mit der Zeit massiv und deutlich über ihre Leistungsfähigkeit hinaus. Daher hatte man, ohne die Sache an die große Glocke zu hängen, den Silberanteil der Münzen nach und nach immer weiter reduziert, bis der Antoninian schließlich etwa zur Mitte des Jahrhunderts fast zu 100% nur noch aus Blech bestand. Das ist in etwa vergleichbar mit der Europäischen Zentralbank, die maroden südeuropäischen Staaten wertlose Staatsanleihen abkauft, um deren Bankrott abzuwenden und dafür Tag und Nacht frisches Geld druckt, das aber durch keinerlei Gegengewicht mehr abgesichert ist. Die teuer erworbenen Staatsanleihen sind dann nämlich genauso minderwertig wie die Blech-Antoniniane, weil auch dort so gut wie kein „Silber“ mehr zu finden ist.

Erstaunlicherweise beeindruckt so etwas heute kaum noch jemanden und auch damals störte das zunächst längere Zeit überhaupt nicht, denn die wunderbaren Münzen mit dem beeindruckenden und machtbewussten Konterfei des Kaisers waren so gut wie überall in der damaligen sogenannten Welt das maßgebliche Zahlungsmittel der Wahl und eine Art Leitwährung. Als Kaiser Aurelian, dem diese peinlichen Blechmünzen schließlich irgendwie unheimlich wurden, um das Jahr 270 den sogenannten Reform-Antoninian in Umlauf brachte, änderte sich diese gewohnheitsmäßige, schläfrig-wohlgefällige Akzeptanz allerdings schlagartig. Ironischerweise brachte ein neues, bedeutend werthaltigeres Zahlungsmittel, das endlich wieder einen Haufen mehr echtes Silber enthielt als die alberne Vorgängerwährung aus Blech das allgemeine Vertrauen in die Römische Währung gewaltig ins Wanken – ganz so, als sei aller Welt schlagartig klar geworden, mit was für einem wertlosen Mist man sie jahrzehntelang an der Nase herumgeführt hatte.

Der Kurs des neuen, silberhaltigen Antoninian jedenfalls fiel rasant ins Bodenlose. Es ging zu wie nach dem Schwarzen Freitag an der New Yorker Börse im Oktober 1929. Die größten Teile des römischen Imperiums mussten von der Geldzirkulation abgekoppelt werden. Tauschhandel wurde wie im Nachkriegsdeutschland die Währung der Stunde, als man vor lauter Hunger Omas Goldbrosche für fünf Pfund Zucker und einen Sack Kartoffeln hergab oder eine Packung Zigaretten so viel Wert war wie eine Handvoll Hühner und der emsige Hahn dazu. Sogar das Militär kehrte auf breiter Front zur Naturalwirtschaft zurück. 

Derartige Zustände stießen bei den Menschen allerdings auf wenig Begeisterung, zumal der Preis für alltägliche Grundnahrungsmittel immer schon ein gewaltiges Politikum war und bis heute geblieben ist – eine Angelegenheit, bei der das dumme Volk mit ziemlicher Sicherheit schlecht gelaunt von seinen Herrschern sehr unmissverständlich schnelle Hilfe erwartet und für die Beseitigung der Probleme auch gern und kompromisslos auf die Straße geht. Wenn es sein muss, auch mit Dreschflegeln und Sicheln und Heugabeln bewaffnet wie Anno 1789 in Frankreich. Was lag also näher als ein Gesetz, mit dem man festlegte, welche Waren maximal wieviel kosten durften? Um von den eigenen politischen Verfehlungen und Unfähigkeiten abzulenken (auch das ist ja bis heute nicht anders), verkündeten die Vier in einer wortreich aufgeplusterten Einleitung zur Veröffentlichung dieses neuen Höchstpreisediktes herablassend, wer diese unbekömmlich versalzene Suppe zu verantworten hatte: das waren die Wucherer, die zu Phantasiezinsen Geld verliehen hatten, Baulöwen und Spekulanten, die in ihrer Gier jede Achtung vor der Würde des Menschen verloren hatten und die Lieferanten und Produzenten, die nur noch Wert auf Mogelpackungen legten und die inhaltliche Qualität ihrer Waren geflissentlich verschwiegen. 

So weit, so gut. Auch diese Dinge verhalten sich heute nicht anders. In bester populistischer Manier präsentierten sich jetzt die vier Kaiser als die großen Anwälte für Wohlergehen und Recht des sogenannten kleinen Mannes. Sie verkündeten publikumswirksam, diesen Machenschaften nicht länger tatenlos zuschauen zu wollen und erklärten, dass man der in blanker Morallosigkeit verkommenen Großfinanz nun den Kampf ansagen wollte. „Für den gesamten Erdkreis“ sollte nun der „Segen niedriger Preise“ garantiert, der „Gier nach Teuerung“ ein Riegel vorgeschoben werden und für diese Verkündung der „Moral der gerechten Preise“ berief man sich gar gegenseitig schulterklopfend auf keinen Geringeren als Aristoteles von Athen, der im Jahr 367 v.Chr. in Platons Άκαδήμεια (Akadḗmeia) aufgenommen worden war und seitdem als universalgenialer Fixstern aus dieser Edelschmiede des Denkens schlechthin galt.

In der Theorie sind derartige Sprüche ebenso wie viel Wert wie das, was auch die Politiker unserer Tage üblicherweise in ihrem trotz mangelhaften Praxisbezuges (oder gerade deswegen?) selbstzufriedenen Dünkel verkünden: Sie sind in der Lektüre immer recht beeindruckend und wirken durchaus auch klug. Die leidige Frage danach bleibt aber leider immer auf dieselbe Art und Weise frustrierend: Wie funktioniert das Ganze denn nun in der Praxis? Und funktioniert es überhaupt? Es gibt einen christlichen Autor aus der damaligen Vierkaiserzeit, einen, der begreiflicherweise dem ausgewiesenen Christenverfolger Diokletian recht wenig Sympathie entgegengebracht hat: der um 250 in Afrika geborene Lucius Caecilius Firmianus Lactantius, ein lateinischer Lehrer für Rhetorik, der heute kurz als Laktanz bezeichnet und den frühen Kirchenvätern zugerechnet wird. Der machte im Gegensatz zu den wortreichen kaiserlichen Ausreden in erster Linie den Monarchen für die Teuerungen verantwortlich und kritisierte das Preisdiktat als dummes Zeug. Kurz gesagt: „Der Fisch fängt beim Kopf an zu stinken“ – und auch das ist selbstverständlich heute nicht anders.

Der Rest ist schnell erzählt, und dem aufmerksamen Beobachter wird gewiss auffallen, dass sich manche Dinge auf der Welt offenbar nie ändern. Statt sich an die Höchstpreisgrenzen zu halten, verschwanden die Waren unterm Ladentisch und wurden in dem frisch erblühten Schwarzmarkt frei ausgehandelt. Die Preise stiegen weiter, das schöne Gesetz der vier Kaiser wurde faktisch außer Kraft gesetzt. Es gab so gut wie keine Möglichkeiten, das Gesetz in der Realität umzusetzen oder gar diejenigen, die es verletzten zu betrafen, denn Polizei oder Kriminalpolizei und sogenannte Strafverfolgungsbehörden waren noch nicht erschaffen. Erst wenn jemand Klage erhob, kümmerte der Staat sich überhaupt darum und bis dahin war das Problem schlichtweg nicht existent. Kaiser Konstantin, den wir heute „den Großen“ nennen, führte schließlich 309 eine neue Goldmünze ein: den Solidus. Der brachte wieder einigermaßen das Vertrauen in die Währung zurück und die Zustände normalisierten sich allmählich, allerdings um den Preis, dass die Armen, denen der Besitz von wertvollen Goldmünzen immer schon verwehrt geblieben war, auch weiterhin von der Geldwirtschaft abgekoppelt blieben.

Die schöne, aber leider in der Praxis kaum anwendbare Theorie des pretium iustum, des „gerechten Preises“ betört die Menschen bis heute. Sie schwirrt sogar beispielsweise in den Köpfen Berliner Politiker herum, und das damals wie heute entgegen jeglichen besseren Wissens um das sich keineswegs subtil vollziehende Eigenleben der Märkte und ihre noch weit weniger subtil verlaufende Preisbildung. Ausbaden dürfen das die einfachen Menschen ohne den Luxus einer eigenen Lobby, die vor dem Nebel politischer Irrwegsphantasien regelmäßig den Halt unter den Füßen verlieren und denen nichts weiter bleibt als eine vage, wenngleich ausweglose Hoffnung, dass man sie noch nicht sofort schnurstracks in den Untergang driften lässt.

 

Druckgrafik zum Werk

Aus dem Werk ist eine Druckgrafik gleichen Namens entstanden.
 
2021, Hahnemühle German Etching Büttenpapier 310 gr., lim., sign. u. numm.
Blattformat 42 x 67 cm (Motiv 24 x 49 cm)

 

Übersichtsseite Werke →

ews Druckgrafik, Menschen ,

3 Replies

  1. Wieder einmal ein interessanter und lehrreicher Beitrag, das habe ich nicht gewusst und etwas Neues dazugelernt. Und in diesem diffusen Nebel kann man sich verirren.

  2. Das großformatige Werk zeigt sechs Figuren, die in verschiedene Richtungen schauen. Als ein Stück Konzeptkunst stellt es eine signifikante Abweichung von der Standardanordnung und dem üblichen „Standpunkt“ der Malerei dar. Diese schwebenden Protagonisten scheinen in der beengten Umgebung, in der sie sich befinden, nach außen zu projizieren. Der Betrachter wird angezogen von der filigranen Fläche, die mit Figuren besetzt ist, die sich gleichzeitig auf die Oberfläche drängen und sich von ihr zurückziehen. Die weiß-blaue Grundierung, die das glänzende Innere und die Oberfläche des Kunstwerks intensiviert, akzentuiert den Lichteinsatz des Künstlers. Dieses Licht hat auch die Bilder der Personen im Kunstwerk projiziert, sodass sie gestochen scharf aussehen. Durch die Unterlage wird der Kopfbereich des Gemäldes vergrößert und erhält ein naturgetreueres Erscheinungsbild, der der Grundstruktur sehr nahekommt.

    Der Maler repräsentiert gekonnt eine Vielzahl menschlicher Empfindungen. Trotz der Tatsache, dass jedes Individuum im Bild seine eigenen charakteristischen Merkmale hat, kann das Gemälde meiner Meinung nach in gleiche Gruppierungen aufgeteilt werden, die von Bewegung lebendig sind. Da sich sein Kopf von links nach rechts zu bewegen scheint, reagiert die Person auf der linken Seite unentschlossen auf etwas. Einer der Personen hat sogar Platz genommen, während der andere die Beine überkreuzt hat. Bei Bildern wie diesem geht es auch darum, mit Farben, Farbauftrag und Strichen zu experimentieren, um das Undenkbare zu schaffen.

    1. Verehrte Meisterin Huang, ich bedanke mich sehr für Ihren freundlichen und wohlwollenden, gleichwohl gewiss unverdienten Kommentar. Ich schätze Ihre Kunst seit langem sehr! Alles Gute für Sie und ein langes Leben! Viele Grüße.

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