Mamerz hat ein kaltes Herz.
Wenn‘s an Pankratius friert, wird im Garten viel ruiniert.
Erst muss Servaz vorüber sein, willst du vor Nachtfrost sicher sein.
Vor Bonifaz kein Sommer, nach Sophie kein Frost.
Vor Nachfrost du nicht sicher bist, bis die Sophie vorüber ist.

2021, Acryl und Gouache auf Faserplatte, 60 x 84 cm
The Frost Saints
The Frost Saints
Die Eisheiligen stehen mit steif gefrorenen Bärten,
aus denen der kalte Wind Schneekörner kämmt,
früh plötzlich in den blühenden Frühlingsgärten,
Nachzügler, Tross vom Winter, einsam, fremd.
Eine kurze Weile nur sind sie hilflos, betroffen,
dann stürzt die Meute auf den Blumenpfad.
Sie können nicht, sich lang zu halten, hoffen;
so wüsten sie in sinnlos böser Tat.
Von den Kastanien reißen sie die Kerzen
und trampeln tot der Beete bunten Kranz,
dem zarten, unschuldsvollen Knospenglück bereiten sie hohnlachend Schmerzen,
zerstampfen junges Grün in geisterhaft verbissnem Kriegestanz.
Plötzlich mitten in all dem Toben und Rasen
ist ihre Kraft vertan,
und die ersten warmen Winde blasen
aus der Welt den kurzen Wahn.

Max Herrmann-Neiße (1886-1941)
„Die Eisheiligen“ aus:
Um uns die Fremde. Gedichte (1936)

11. Mai

In Norddeutschland gilt Mamertus als der erste der Eisheiligen und zeichnet dort am 11. Mai für den winterlichen Rückfall verantwortlich. Er war ab ungefähr 461 n.Chr. Bischof in Vienne bei Lyon. Das war zu einer wenig angenehmen Zeit, in der bereits deutlich vor dem endgültigen Aus des Weströmischen Reiches im reichen römischen Gallien dank der einsetzenden Völkerwanderungen und des Vandalen- und Germanensturms schnell fast überall Schluss mit lustig war. Diese traurigen Zeiten waren von Plünderungen, Brandschatzungen und anderen unerfreulichen kriegerischen Umtrieben geprägt, und deshalb begründete Mamertus auch die Tradition der Flurprozessionen an den drei Tagen vor Christi Himmelfahrt, um für günstige Bedingungen bei Ackerbau und Viehzucht zu beten. Wegen der wenig zivilisierten Invasoren, die sich im Land „wie die Vandalen“ aufführten, hatten die gallorömischen Einheimischen nämlich nur recht wenig zu hoffen und noch weniger zu essen. In dieser Tradition wird Mamertus allerdings auch im Süden Deutschlands geschätzt. Und so hat er im Jahr 2021 ein strammes Programm, denn zusätzlich zu seinem Gedenktag am 11. Mai muss er bei den Flurumgängen am 10., 11. und 12. Mai präsent sein, weil in diesem Jahr Christi Himmelfahrt auf den 13. Mai fällt.

12. Mai

Der „alles Besiegende“ Pankraz wurde zehn Jahre vor dem Ende des 3. Jahrhunderts in der römischen Provinz Phrygien geboren. Heute ist das türkisches Staatsgebiet. Er hatte ein recht kurzes Leben, denn er wurde im Zuge der römischen Christenverfolgungen bereits im Jahr 304 n.Chr. wegen seines Glaubens hingerichtet. Ein vierzehnjähriger Bub, der sich mutig seinem erzwungenen Tod aus Überzeugung gestellt hat und damit tatsächlich höchst beeindruckend allem Leid zum Trotz „alles besiegt“ hat.

Im englischen London ist der Stadtteil St. Pancras nach ihm benannt und nach diesem der neugotische Bahnhof St. Pancras, einer der Hauptbahnhöfe der Stadt, an dem die Züge nach Paris abfahren, und in Rom steht an der Via Aurelia die Basilika San Pancrazio, die um ca. 500 von dem damaligen Papst Symmachus zur Erinnerung an den Heiligen Pankratius errichtet wurde, um nur zwei kurze Beispiele für seine Verehrung zu nennen.

13. Mai

Wenn man der Legende glauben will, war Servatius im 4. Jahrhundert Bischof von Tongern im heutigen Belgien. Er soll von 340 bis 384 gelebt und die Invasion der Hunnen in Gallien von 451 vorhergesagt haben. Nomadische und halbnomadische zentralasiatische Reitervölker aus dem Gebiet zwischen Don und Wolga hatten bereits ab dem Jahr 375 Ärger zu machen begonnen. In der Folgezeit drangen sie dann zunächst unter unterschiedlichen Anführern, später dann geeint unter „Attila, dem Hunnenkönig“ immer weiter nach Europa ein und verwüsteten plündernd und mordend das Land. Nach Attilas Tod 453 legte sich der Spuk wieder, weil die wilden Horden aus dem Osten dann führerlos ziemlich schnell auseinanderbrachen und allmählich in Europa weitgehend assimiliert wurden, es reichte dennoch zuvor noch dazu, Servatius angeblich mit einem Holzschuh zu erschlagen. Daher wird er seither bei Fußkrankheiten und Frostschäden angerufen. Beides scheint offenbar auf die Träger von Holzschuhen zuzutreffen.

Das ist die alte Legende um Servatius. Nach dem heutigem Stand der Forschung aber sind in dieser Person zwei historische Personen vermischt worden:

Gregor von Tours schreibt in seiner nach 585 verfassten „Geschichte der Franken“, der Historia Francorum von einem Servatius episcopus Tungrorum (Servatius, Bischof der Tongrer), der jedoch erst um 450 um die Zeit des Hunnensturmes starb. Offensichtlich war dieser Servatius tatsächlich der erste Bischof im heutigen Tongern und nicht der obengenannte (vielleicht gar nicht existente) Servatius im 4. Jahrhundert. Gregor von Tours zufolge reiste sein Servatius jedenfalls nach Rom, wo ihm in einer Petrus-Erscheinung die Invasion der Hunnen prophezeit wurde. Deswegen kehrte er schleunigst in seine Heimat zurück, warnte die Bürger von Tongeren und verlegte selbst den Bischofssitz nach Maastricht.

Bis heute wurde vermutlich mit diesem Servatius ein anderer Träger gleichen oder ähnlichen Namens vermischt: Sulpicius Severus, ein Adeliger aus Aquitanien im 4./5. Jahrhundert, der hauptsächlich durch seine Biografie des Heiligen St. Martin (den er persönlich gekannt haben soll) berühmt wurde, erwähnt einen Servatius (oder Sarbatios) aus Gallien, der 343 und 359 an den Synoden von Sardica (das heutige Sofia in Bulgarien) und Rimini teilnahm. Der könnte eventuell mit dem eingangs erwähnten Servatius identisch sein, denn der lebte rund hundert Jahre vor dem bei Gregor erwähnten Servatius –zu einer Zeit, in der von Christentum so weit im nördlichen Gallien in der Region um Tongeren und damit auch von einem Bischof noch keine Rede sein konnte.

14. Mai

Das tatsächliche Alter des Bonifatius von Tarsus ist unbekannt. Er soll in Rom geboren worden sein. Gestorben ist er vermutlich im Jahr 306 in Tarsus in der heutigen Türkei, wo man ihn in einen Kessel mit kochendem Pech setzte. Bonifaz war als römischer Offizier zunächst gar kein Christ. Er sollte vielmehr im Auftrag Roms christliche Reliquien beschlagnahmen und in die Heimat bringen, weil man mit allen Mitteln verhindern wollte, dass sie zu dem werden, was man heute allgemeinhin darunter versteht: Gegenstände kultischer religiöser Verehrung. Dort in Tarsus erlebte er die Schrecken der Christenverfolgung unter Kaiser Galerius, sah, wie die Menschen selbst unter schlimmster Folter standhaft blieben, und das alles nur wegen ihres Glaubens an diesen Gott. Von solcher Glaubensfestigkeit war Bonifaz zutiefst beeindruckt und ließ sich voller Empathie ebenfalls taufen. Das kostete ihn sein Leben. Sein Leichnam wurde von Freunden nach Rom zurückgebracht und an der Via Latina bestattet. Heute findet man als interessierter Tourist dort einige römische Ruinen, zum Beispiel den restaurierten Tempel der Valerier, den Prachttempel der Barberini und die freigelegten Fundamente sowie ein paar Säulen der Basilika di Santo Stefano aus dem 5. Jahrhundert.

Der Name bedeutet so viel wie „derjenige, der gutes Geschick verheißt“. Auf historischen Darstellungen sieht man Bonifaz entweder als jungen Mann oder als Greis – weil man eben nicht weiß, wann er geboren wurde und ob er nun also als junger oder als alter Mann umgebracht wurde.

15. Mai 

Und schließlich noch: Sophia von Rom. Sie ist die letzte der fünf Eisheiligen, die einzige Frau in dieser Runde und kurz als die „kalte Sophie“ oder auch „das Sopherl“ bekannt. Ein knappes halbes Jahrhundert nach dem Ende der letzten Christenverfolgungen unter Valerian wurde es für die frühen Christen noch einmal richtig schwer. Um das Jahr 293 führte Kaiser Diokletian eine umfassende Staatsreform durch, weil das Römische Reich zu bürokratisch geworden war und die politischen Verhältnisse dringend stabilisiert werden mussten. (Woher kenne ich das nur?!) Nebenbei bemerkt war das der Beginn der ersten von insgesamt vier aufeinanderfolgenden Tetrarchien. Das war etwas Unerhörtes, nämlich ein Vier-Kaiser-System (griechisch τετρα tetra = vier und αρχη archē = Herrschaft, Regierung). Genauer gesagt waren es zwei Seniorkaiser und zwei Juniorkaiser – die einen trugen den Titel Augustus, die anderen nannte man Caesar. Das Kaisertum sollte aus den obengenannten Gründen stabilisiert werden, und ein einzelner Kaiser konnte das Riesenreich wegen seiner Größe und auch wegen des Bedürfnisses im Volk, dem Kaiser ganz nahe sein zu wollen, nicht mehr allein regieren. Das Reich wurde aufgeteilt ins weströmische und ins oströmische Reich. Jedes hatte seinen Kaiser, und jeder dieser beiden Kaiser bekam seinen Unterkaiser.

Tatsächlich wurde dadurch das Kaisertum gleichzeitig stärker als jemals zuvor einer religiösen Weihe unterzogen. Die römischen Staatsgötter und die Kaiser befanden sich jetzt quasi auf ein- und derselben Stufe, und die Kaiser, ihre Taten und die Staatsreligion wurden auf eine sozusagen übermenschliche, endgültig unantastbare Sphäre gehoben. Das hatten sich nicht einmal Nero oder Caligula getraut. Das kaiserliche Wort war ab sofort per se göttlich und nicht einfach nur größenwahnsinnig wie das von Claudius, über den noch alle hinter vorgehaltener Hand gelacht hatten, selbst der ansonsten eher seriöse Seneca in seiner anonym veröffentlichten Satire als Nachruf auf den toten Claudius in der Apocolocyntosis:

L. ANNAEI SENECAE
APOCOLOCYNTOSIS DIVI CLAVDII

Ultima vox eius haec inter homines audita est, cum maiorem sonitum emisisset illa parte, qua facilius loquebatur: „vae me, puto, concacavi me.“ Quod an fecerit, nescio: omnia certe concacavit.

Die letzten Laute übrigens, die man unter Menschen von ihm vernommen hat – nachdem er gerade aus jenem Körperteil, mit dem er sich stets leichter zu äußern verstand, einen recht kräftigen Ton hatte entfahren lassen – waren folgende: „O je, ich glaube, ich habe mich voll­ge­schissen.“ Ob er es wirklich getan hat, weiß ich nicht: sicher ist nur, dass er alle Welt beschissen hat.

Wer Senecas ganze herrliche Verkürbissung des „göttlichen Claudius“ lesen möchte, findet den Volltext auf The Latin Library.

Zurück zum Thema. In dieser Zeit umfassender politischer und gesellschaftlicher Umwälzungen unter Diokletian lebte nun unsere Sophie von Rom. Ehrlich gesagt ist von der Dame außer der Tatsache, dass sie im Jahr 304 als frühchristliche Märtyrerin starb, nur sehr wenig bekannt. Man weiß, wohin ihre vermutlichen Reliquien gekommen sind und auf welche Kirchen sie verteilt wurden. Offenbar ist in ihrer Geschichte aber auch einiges mit dem Leben der Heiligen Sophia von Mailand verwechselt worden und durcheinandergeraten. Von der Mailänder Sophie sind tatsächlich noch weniger Genauigkeiten überliefert. Fest steht, dass man die Römische Sophie als aufrechter Katholik bis heute gegen Spätfröste anruft oder wenn man sich eine gute und reiche Ernte sichern möchte.

Übrigens darf man die westkirchliche Sophia von Rom nicht mit der ostkirchlichen Agia Sophia (Ἁγία Σοφία) verwechseln. Während der mittelalterlichen Kreuzzüge ist das leider bereits mit Nachhaltigkeit bis zum heutigen Tag geschehen, hauptsächlich wegen des Umstandes, dass das Altgriechische tatsächlich einen Haufen Doppeldeutigkeiten aufweist: das Ἁγία bedeutet zwar „heilig“, aber eben auch „göttlich“, und Σοφία bedeutet zwar durchaus den Namen „Sophia“, aber eben auch „Weisheit“ Die einstige Hauptkirche von Konstantinopel, die Hagia Sophia – das ist dieselbe, die Herr Erdogan kürzlich und ohne viel Federlesens zur Moschee befördert hat – ist also nicht der heiligen Sophie von Rom gewidmet, sondern der göttlichen Weisheit, und damit stimmt die oft im Zusammenhang mit der Hagia Sophia genannte Bezeichnung als „Sophienkirche“ leider nicht.

„One More Thing“ 

Und zu guter Letzt noch eine kleine, aber für Hobbygärtner nicht unwichtige Bemerkung: eigentlich beziehen sich die genannten Heiligengedenktage des 11. bis 15. Mai ja bis zum heutigen Tag auf die Datierungen des alten julianischen Kalenders. Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts gilt aber der gregorianische Kalender, benannt nach Papst Gregor XIII.

Der strich bei seiner Kalenderreform damals allerdings zehn ganze Tage ersatzlos weg, weil Mond- und Sonnenkalender im Laufe der Jahrhunderte gewaltig durcheinandergeraten waren. Und deswegen sollte man, sofern man an den Einfluss der Eisheiligen glauben möchte, seine Tomaten- und Gurkenpflänzchen nicht sofort nach dem 15. Mai im Garten einbuddeln, sondern damit sicherheitshalber bis zum 26. Mai abwarten.

Eine kurzweilige Zusammenfassung der Notwendigkeiten,
die zur gregorianischen Kalenderreform geführt haben:
https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag6430.html

Weiterführende Informationen zu Max Herrmann-Neiße:
https://www.deutschelyrik.de/herrmann-neisse.html

Senecas „Apocolocyntosis Divi Claudii“ auf The Latin Library:
https://www.thelatinlibrary.com/sen/sen.apoc.shtml

Übersichtsseite Werke →

ews Menschen , ,

One Comment

  1. Ja, ja, und die kalte Sophie wird da links in die Ecke gequetscht, die Arme. 🙂

    Ein wunderschönes Bild, zu schade, dass meine Wände inzwischen überquellen, das hätte ich mir sehr gern noch aufgehängt! Mir gefallen die Farben und die Spachteltechnik sehr, sehr gut. Davon würde ich gern mehr sehen!

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