Rilkes schmerzvolle Erkenntnis, dass sein Lebensweg zu Ende war: sein letztes Gedicht.
2016, Acryl auf Pappe, 32 x 24 cm
28. März 2021 – Palmsonntag
Der Mensch als Pilger zwischen den Welten: so sah es auch Rainer Maria Rilke, dem zeitlebens immer schon das Sichtbare und Unsichtbare gleichermaßen vertraut war. Sein Jenseits begann bereits im Diesseits, das für ihn, seit er denken konnte, immer schon zu einer von jeglicher Zeit entfesselten Ordnung gehörte.
Trotz dieser beeindruckenden Perspektive war Rilkes eigenes Ende in dieser Welt nicht sonderlich pompös. Krankheit und Tod sind zu souverän, um sich auf Wettspielchen einzulassen. Zum Schluss mochte sein Körper nicht mehr mitspielen, wollte nicht mehr „körperhaft dauern“, obwohl er für Rilke immer ein ganz wunderbarer, verlässlicher Freund gewesen war. Mit ihm, so notiert er voller Wehmut knapp acht Monate vor seinem Tod im Mai 1926, sei er stets „in einer so vollkommenen Übereinstimmung“ gewesen, „dass ich ihn oft für ein Kind meiner Seele hätte halten können: leicht und unbrauchbar wie er war und mitnehmbar bis ins Geistigste hinein, wie oft aufgehoben, mit Gewicht begabt nur noch aus Courtoisie und sichtbar nur noch, um das Unsichtbare nicht zu erschrecken! So innig mein; ein Freund, wirklich mein Träger, der Halter meines Herzens …“. „Also“, fährt Rilke fort, „ein Kummer, dieses Zerwürfnis mit ihm, und ein zu neuer Kummer, um darin schon versöhnlich zu sein. Und der Arzt kann nicht verstehen, was mich in diesen Hemmungen, die ja, ob sie gleich durch den ganzen Körper ihre Filialen haben, erträglich sind, so wesentlich, so central betrübt!“
Je näher der unvermeidbare Moment des Abschieds auf ihn zukommt, desto kleinmütiger wird sein Geist. Er ahnt, dass seine Kräfte für das nicht ausreichen, was er demnächt bewältigen muss. Die Angst betritt die Bühne, und sie bringt die Unausweichlichkeit mit. Wer diesen Primadonnen begegnen möchte, muss auf Gleichmut setzen und seine Erwartungshaltung deutlich zurücknehmen. Wer vergessen kann, ist auf alle Fälle besser dran.
Am 13. Dezember 1926 schreibt Rilke nur zwei Wochen vor seinem Tod an seine einstige vierzehn Jahre ältere große Liebe aus dem Jahr 1897 und beste und mütterliche Freundin Lou Andreas-Salomé: „Du weißt, wie ich den Schmerz, den physischen, den wirklich großen in meine Ordnungen untergebracht habe, es sei denn als Ausnahme und schon wieder Rückweg ins Freie. Und nun. Er deckt mich zu. Er löst mich ab. Tag und Nacht!“ Gegen Ende, noch bevor das letzte Wort gesprochen ist, löst sich sein Ich bereits. Er wollte so leicht sein im Leben und dann wurde es doch so schwer für ihn am Ende.
Hier ist Rainer Maria Rilkes Nachdenken über den Tod und das irdische Ende, sein letztes Gedicht, geschrieben wahrscheinlich am Vierten Adventssonntag des Jahres 1926, mit dem er sich ein allerletztes Mal trotzig um eine freundliche Interpretation seiner Situation bemüht. Dennoch weiß er, dass seine persönliche Hoffnung inzwischen alt und grauenhaft geworden ist und dass sie bereits nicht mehr von dieser Welt ist:
Komm du, du letzter, den ich anerkenne,
heilloser Schmerz im leiblichen Geweb:
wie ich im Geiste brannte, sieh, ich brenne
in dir; das Holz hat lange widerstrebt,
der Flamme, die du loderst, zuzustimmen,
nun aber nähr’ ich dich und brenn in dir.
Mein hiesig Mildsein wird in deinem Grimmen
ein Grimm der Hölle nicht von hier.
Ganz rein, ganz planlos frei von Zukunft stieg
ich auf des Leidens wirren Scheiterhaufen,
so sicher nirgend Künftiges zu kaufen
um dieses Herz, darin der Vorrat schwieg.
Bin ich es noch, der da unkenntlich brennt?
Erinnerungen reiß ich nicht herein.
O Leben, Leben: Draußensein.
Und ich in Lohe. Niemand der mich kennt.
René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke
* 4. Dezember 1875 (Prag)
✝ 29. Dezember 1926 (Clinique Valmont, Montreux)
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Aus dem Werk ist eine Druckgrafik gleichen Namens entstanden. |